Aufgrund von Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs formulierte das oberste italienische Verwaltungsgericht am 29. Januar 2018 Beschränkungen für die Einführung englischsprachiger Lehre an italienischen Hochschulen. Komplette Studiengänge ausschließlich auf Englisch sind demnach ausgeschlossen, wenn es das entsprechende Angebot nicht zugleich in der Landessprache gibt.


Klage gegen die Technische Universität Mailand

 

Die Technische Universität Mailand (Politecnico di Milano) hatte im Jahre 2012 beschlossen, in der Lehre und den Prüfungen sämtlicher weiterführender Studiengänge und Doktorandenprogramme nur noch die englische Sprache zuzulassen. Sie berief sich dabei auf ein Gesetz aus dem Jahre 2010, welches in ihren Augen diesen Schritt erlaubt hätte.

Gegen den Beschluss des Politecnico klagten etwa 100 Dozenten der Universität vor dem zuständigen Verwaltungsgericht der Lombardei. Dieses gab in seinem Urteil vom 26. März 2013 der Argumentation der Beschwerdeführer in sämtlichen Punkten Recht und annullierte den Beschluss der Hochschule. Die wesentlichen Argumente, mit denen die Verwaltungsrichter das Urteil begründeten, sind in der  Pressemitteilung des ADAWIS vom 29. 7. 2013 zusammengefasst.

Hier finden Sie einen juristischen Kommentar zu dem italienischen Gerichtsurteil, der dieses in eine Beziehung zur Situation in Deutschland setzt.


Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Einführung von Englisch als ausschließlicher Lehrsprache öffentlicher Hochschulen

 

Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts der Lombardei legten der Politecnico di Milano sowie das für Hochschulen und Forschung zuständige Ministerium Einspruch beim Consiglio di Stato, dem obersten Verwaltungsgericht in Rom, ein. Dieses äußerte in seinem Urteil vom 25. 11. 2014  verfassungsrechtliche Einwände gegen das Gesetz, auf das sich die TU Mailand berufen hatte, und legte den Fall daher dem Verfassungsgericht, der Corte Costituzionale, vor.

Hier finden Sie die wichtigsten Passagen des Urteils vom 25. November 2014 in deutscher Übersetzung sowie einen Kommentar von Kurt Gawlitta (Macht Mailand München Mut?).


Das Urteil des italienischen Verfassungsgerichts

 

Am 21. Februar 2017 erging das Urteil des Verfassungsgerichts. Danach ist das Gesetz aus dem Jahre 2010 zwar verfassungskonform, jedoch sind für die Einführung rein englischsprachiger Lehrveranstaltungen strenge Maßstäbe anzulegen. Der Vorrang der italienischen Sprache sei ebenso zu respektieren wie das Prinzip der Gleichheit, des Rechts auf Bildung und der Freiheit der Lehre. Komplette Studiengänge in englischer Sprache sind nur dann möglich, wenn sie solchen in italienischer Sprache zur Seite gestellt sind.

Hier finden Sie das gesamte Urteil des Verfassungsgerichts vom 21. Februar 2017 in deutscher Übersetzung. Für den eiligen Leser: Die vom Verfassungsgericht formulierte eigene Rechtsauffassung und seine Entscheidung finden sich in dem Abschnitt "Begründung" unter den Nummern 3 und 4 (ab Seite 8) sowie in der Pressemeldung des ADAWIS.

Mit diesen Vorgaben verwies der Verfassungsgerichtshof die Angelegenheit an das oberste Verwaltungsgericht zurück, das daraufhin am 29. Januar 2018 sein endgültiges Urteil fällte. Es gab der Klage gegen die Technische Hochschule Mailand aus dem Jahre 2012 vollumfänglich Recht. Damit sind Studiengänge, die ausschließlich in englischer Sprache angeboten werden, rechtswidrig!

In einer Pressemeldung weist der ADAWIS darauf hin, dass die Entscheidung auch für deutsche Hochschulen Bedeutung hat.

Wie müssten deutsche Gerichte entscheiden? Das deutsche Bundesverfassungsgericht geht in seiner Rechtsprechung im Allgemeinen über die Praxis des italienischen Verfassungsgerichtshofs hinaus, indem es auch konkrete, vollziehbare Maßstäbe aufzeigt, mit denen Verfassungskonformität hergestellt werden kann. Die Corte Costituzionale unterlässt dies - so auch in diesem Fall. Damit können italienische Hochschulen versuchen, den Spruch der Verfassungsrichter zu unterlaufen, was ihnen durch ein neueres Urteil des Consiglio di Stato tatsächlich freigestellt wurde. Der Praxis des deutschen Bundesverfassungsgerichts folgend, wäre das nicht möglich.


Petition zum Schutz der italienischen Sprache

 

Nach dem aufsehenerregenden Verfassungsgerichtsurteil in Italien, das den ausschließlich in englischer Sprache angebotenen Studiengängen einen Riegel vorschob, haben die Initiatoren der Verfassungsklage eine Petition an den italienischen Staatspräsidenten verfasst. Sie fordern geeignete Maßnahmen, um die italienische Sprache in sämtlichen Bereichen zu schützen und zu fördern. Hier geht es zur deutschen Übersetzung der Petition und hier zur Unterschriftsseite.


L´Italiano alla prova dell´internazionalizzazione

 

Das Buch L´Italiano alla prova dell´internazionalizzazione wurde von Maria Agostina Cabiddu, einer der Klägerinnen im Prozess gegen den Politecnico di Milano, herausgegeben und erschien im Verlag Guerini e Associati, Milano, 2017.

Darin erklärt die Immunologin Maria Luisa Villa in einem lesenswerten Aufsatz, welche Bedeutung die Frage Einsprachigkeit oder Mehrsprachigkeit sowohl für die Kommunikation als auch das Denken in den Wissenschaften hat. Hier finden Sie eine deutsche Übersetzung dieses Artikels.