Kennzeichen „internationaler“ Studiengänge sollte differenzierte Mehrsprachigkeit sein. Obwohl viele Institutionen wie die Hochschulrektorenkonferenz oder der ADAWIS solche Konzepte schon lange fordern, ignorieren zahlreiche Hochschulen all diese Empfehlungen und setzen kompromisslos auf ein vereinfachtes Englisch als ausschließliche Lehrsprache - mit negativen Folgen für die Qualität der Lehre.


Die Empfehlungen der Hochschulrektorenkonferenz (HRK)

 

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat sich in einer Arbeitsgruppe, in der auch der ADAWIS maßgeblich mitarbeitete, mit dem Verhältnis zwischen dem Englischen und der Landessprache in Forschung und Lehre auseinandergesetzt. Ziel war die Formulierung von Empfehlungen, auf die Hochschulleitungen zum Beispiel bei der Einführung fremdsprachiger Studiengänge zurückgreifen sollen.
Das Empfehlungspapier „Sprachenpolitik an deutschen Hochschulen" ist ein Bekenntnis zur Mehrsprachigkeit: „Die Sprachenvielfalt soll sowohl zum Erhalt des Deutschen in den Wissenschaften beitragen als auch den qualifizierten Erwerb und Einsatz anderer Sprachen unterstützen." Grundsätzlich soll am Deutschen als Sprache der grundständigen Lehre festgehalten werden; Sprachlernprogramme sollten in die Studiengänge integriert werden. Um Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen, sollten Publikationsindices geschaffen werden, die auch nicht-englischsprachige Veröffentlichungen berücksichtigen. Die HRK gab hierzu diese Pressemitteilung heraus.

In diesem Sinne setzt sich auch der Präsident der HRK, Prof. Horst Hippler, in einem Interview in Welt-Online für Deutsch als Wissenschaftssprache ein: „Es ist falsch, wenn nur englisch gesprochen wird."

Allein die Umsetzung der HRK-Empfehlungen würde viele Probleme, die wir an den Hochschulen beobachten, lösen. Umfragen des ADAWIS unter mehreren Hochschulen zeigten jedoch, dass nur teilweise ein Problembewusstsein vorhanden ist und dass man von einer konkreten Umsetzung der Empfehlungen weit entfernt ist.

Dies beklagt auch das Hamburger Abendblatt in dem Artikel „Forscher mahnen: Schreibt mehr Deutsch" vom 7. 6. 2012. Aus Anlass der Verleihung des Berenberg-Preises für Wissenschaftssprache durch die Hamburger Universitäts-Gesellschaft widmet sich Marc Hasse darin dem Thema Wissenschaftssprache und geht dabei ausführlich auf die Position des ADAWIS ein.


Die TU München als schlechtes Vorbild

 

Die Technische Universität München (TUM) hat beschlossen, bis zum Jahre 2020 in fast allen weiterführenden Studiengängen die Lehrsprache auf Englisch umzustellen. Eine Möglichkeit, diese Fächer auch auf Deutsch zu studieren, wird es dann nicht mehr geben. Studenten, große Teile der Presse sowie namhafte Politiker stehen diesem radikalen Vorhaben kritisch gegenüber. Lesen Sie hierzu die Pressemitteilung des ADAWIS.

Am 27. Mai 2017 beschäftigte sich der Bayerische Rundfunk in einer Sendung mit dem sprachenpolitischen Vorhaben der TU München. Vertreter der Politik, der Studentenschaft und der Hochschulleitung kamen ebenso zu Wort wie der ADAWIS. Titel:TU München will ganz modern sein - Brillante Idee oder Bullshit?" Insbesondere die zahlreichen Hörerkommentare geben auf diese Frage eine eindeutige Antwort.


Studentische Kritik an ausschließlich englischsprachiger Lehre

 

Eine sehr kritisch-differenzierte Stellungnahme zu den Plänen der TU München veröffentlichte die Bundesfachschaftentagung Elektrotechnik.

Doch auch außerhalb Münchens macht die Absicht von immer mehr Hochschulen, große Teile der Lehre auf „English only“ umzustellen, die Studenten nachdenklich. Eine Fachschaftsvertretung der Universität Hamburg (UHH) lud z.B. im Mai 2014 Dozenten und Studenten zu einer Podiumsdiskussion, an der u.a. H.H. Dieter, Vorstandsmitglied des ADAWIS, teilnahm. Er warb, ebenso wie andere Kollegen von der UHH, für differenzierte Mehrsprachigkeit im Sinne der HRK-Empfehlungen – auch in naturwissenschaftlichen und technischen Studiengängen. Die Argumente lösten bei den Studenten einige Kritik an der Umstellung auf „English only“ aus. Es drängte sich während der Diskussion der Eindruck auf, dass eine ausschließlich englischsprachige Lehre möglicherweise das nicht offen benannte Ziel verfolgt, zu Lasten des universitären Bildungsauftrags die Studenten lediglich für eng umrissene Tätigkeiten in international aufgestellten Unternehmen zu konditionieren. Im Fachbereich Chemie der UHH scheint dagegen ein zweisprachiges Lehr-Modell gut zu funktionieren und auch breite Akzeptanz zu finden.

Auch an der Universität Heidelberg zeigen sich Studenten gegenüber dem Thema sensibilisiert. Im Juni 2014 veröffentlichte dort die Studentenzeitschrift „Ruprecht“ auf Seite 2 ein „PRO und CONTRA“ zur ausschließlich englischsprachigen Lehre.


Es gibt auch positive Vorbilder

 

Die TU Braunschweig hat 2019 Empfehlungen zur Sprachenpolitik veröffentlicht, die in mancher Hinsicht als Vorbild dienen könnten. Hier wird Internationalisierung nicht mit „English only" gleichgesetzt. Die grundständigen Studiengänge sind ausschließlich deutschsprachig, im weiterführenden Bereich spielt aber auch die Befähigung zum englischsprachigen Wissenschaftsdiskurs eine wichtige Rolle. Für ausländische Bewerber sind Deutschkurse auf Niveau B2 und C1 vorgesehen. Erfreulicherweise wird dem integrationspolitischen Aspekt, der Beschäftigungsfähigkeit in Deutschland und gesamtkulturellen Gesichtspunkten hohe Bedeutung beigemessen.


Auswirkungen von „English only" auf die Qualität der Lehre

 

In rein englischsprachiger Lehre muss nicht nur auf Inhalte gänzlich verzichtet werden, etwa wenn Texte nur auf Deutsch vorliegen (z.B. Gesetze im Bauingenieurwesen). Es gibt auch Defizite in der Rezeption des in den Vorlesungsplänen noch verbliebenen Stoffes. So zeigen Untersuchungen aus Skandinavien, dass die Interaktion zwischen Dozenten und Studenten abnimmt und dass seitens der Studenten mehr Nacharbeit geleistet werden muss. Beim Studium von Lehrbüchern bleiben 25 % der Inhalte weniger im Gedächtnis haften, wenn es sich um fremdsprachige Bücher handelt (Gulbrandsen et al., JAMA 287 (2002), 2851-2853).

In einer Gastkolumne in Focus-Online kritisiert Jens Rehländer den Englisch-Wahn an unseren Universitäten. Die Folge der kommunikativen Einengung auf eine vereinfachte Einheitssprache wird sein: Standard und Mittelmaß.

Dies alles ist keine Argumentation gegen die Internationalisierung. „Im Gegenteil: Wenn die Zusammenarbeit mit den ausländischen Studierenden gut funktioniert, sind diese eine große Bereicherung ... Doch dafür muss man sich verstehen." Mit diesem Fazit kritisieren zwei Hochschullehrer in einem Beitrag in Zeit-Online vom 6. 4. 2017 jene Universitäten, die beide Augen zudrücken, wenn ausländische Studenten das Deutsche nicht beherrschen, aber auch kaum über die nötigen Englischkenntnisse verfügen. Damit wird dem Schein der „Internationalität" selbst die Qualität der Ausbildung geopfert („Internationale Studenten: Ohne Worte").

Quelle: ADAWIS

Studien, wie sie z.B. in Schweden durchgeführt wurden, liegen aus dem deutschsprachigen Raum nicht vor. Daher hat ADAWIS das inhaltliche Verständnis in deutsch- und englischsprachigen Seminaren mit ausschließlich deutschsprachigen Teilnehmern abgeschätzt. Dazu wurde die Zahl der Diskussionsbeiträge in jeweils 7 Seminaren, die in deutscher bzw. englischer Sprache stattfanden, ausgewertet. Die Zahl der Teilnehmer betrug im Durchschnitt 44,3. Es handelte sich im Wesentlichen stets um dasselbe (deutschsprachige) Auditorium, bestehend aus etablierten Wissenschaftlern mit sehr guten Englischkenntnissen, sowie um dieselbe Thematik. In jedem Seminar wurde die Zahl der Wortmeldungen durch die Zahl der Teilnehmer dividiert. Der Mittelwert dieser Quotienten lag bei 0,457 für deutschsprachige Seminare (s = 0,227; n = 7) und bei 0,073 für englischsprachige Veranstaltungen (s = 0,036; n = 7). Der Unterschied ist signifikant mit p < 0,0005 (t-Test für unverbundene Stichproben). Obwohl es sich nicht um eine systematische empirische Studie handelt, deckt sich das Ergebnis mit den Untersuchungen aus Skandinavien.