Auch zahlreiche Autoren außerhalb des ADAWIS haben sich kritisch zu der Einengung der Wissenschaftskommunikation auf die englische Sprache geäußert. Hier eine Auswahl.
Schwerpunktheft der Deutschen Universitätszeitung zum Thema Wissenschaftssprache
Die Deutsche Universitätszeitung (DUZ) widmet ein Schwerpunktheft dem Thema Wissenschaftssprache (DUZ Wissenschaft & Management, Ausgabe 10/2020, 4. 12. 2020). Zahlreiche Beiträge – auch von mehreren ADAWIS-Mitgliedern – beleuchten die Einführung von Englisch als einziger Lehrsprache an Hochschulen kritisch im Hinblick auf kulturelle, integrationspolitische, kognitive und juristische Gesichtspunkte. Hier die einzelnen Beiträge:
- Axel Flessner: Alles, was recht ist
- Raphaela Henze: Sprache ist mehr als ein Tool für die globale Arbeitswelt
- Klaus R. Kunzmann: Mehrsprachigkeit begünstigen
- Olga Rösch: Vom Wert der Sprache überzeugt sein
- Günter-Ulrich Tolkiehn: Transfer zwischen Wissenschaft und Gesellschaft
Zwei weitere Aufsätze, die im Rahmen des DUZ-Schwerpunktes (z.T. leicht gekürzt) im Netz veröffentlicht wurden, sind hier in voller Länge verfügbar:
- Lidia Becker und Elvira Narvaja de Arnoux: Utopie der Universalsprache Englisch – Über Missverständnisse und offene Fragen der Anglophilie an deutschen Hochschulen im internationalen Vergleich
- Peter Finke und Hermann H. Dieter: Das Anthropozän beenden – Was „English only“ mit der Zukunft der Erde zu tun hat
Siegfried Gehrmann: „Die Kontrolle des Fluiden - Die Sprachlichkeit von Wissenschaft als Teil einer neuen Weltordnung"
Dieser Dieser lesenswerte Aufsatz stellt die Sprachlichkeit von Wissenschaft in die größeren Zusammenhänge der Ökonomisierung und Globalisierung. Den Hintergrund für die gegenwärtige Entwicklung bilden „neue Formen gesellschaftlicher und politischer Machtausübung, die Kommunikations- und Informationsströme global kontrollieren und steuern … wollen“. In der Macht von Zitatenindices etwa spiegelt sich die Orientierung an einem hegemonialen Wissenschaftsmarkt wider, der differente Weltdeutungen nicht mehr zulässt. Mögliche Alternativen zu dieser Entwicklung werden aufgezeigt.
Der Aufsatz erschien in dem Buch „Bildungskonzepte und Lehrerbildung in europäischer Perspektive". Hrsg.: Siegfried Gehrmann, Jürgen Helmchen, Marianne Krüger-Potratz, Frank Ragutt. Waxmann-Verlag, Münster/New York, 2015.
Peter Strohschneider: „Vielfalt von Wissenschaftssprachen" (Auszüge)
Peter Strohschneider ist Professor für Germanistische Mediävistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sein Plädoyer für die „Vielfalt von Wissenschaftssprachen" erschien in der Festschrift für Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Theodor Berchem „20 Jahre Wandel durch Austausch", Deutscher Akademischer Austauschdienst, S. 227-233 (2007).
Klaus-Dieter Lehmann: „Welche Sprachen spricht die Wissenschaft?"
Forschung und Lehre Nr. 5 (2012)
In einem „Standpunkt" in der Zeitschrift Forschung und Lehre fasst der Präsident des Goethe-Instituts, Prof. Klaus-Dieter Lehmann, die Argumente zusammen, warum Deutsch als Sprache der Wissenschaft wieder gestärkt werden muss.
Roland Kaehlbrandt: „Ein angespanntes Verhältnis? Über Wissenschaftssprachen und Allgemeinsprache"
Forschung und Lehre Nr. 10 (2012)
Dem Vorurteil zum Trotz, Fachsprachen seien unverständlich und die Allgemeinsprache sei unpräzise, zeigt der Autor in diesem Aufsatz die Brücken zwischen Wissenschafts- und Allgemeinsprache auf.
Peter-André Alt: „Die sprachlose Forschung"
Tagesspiegel vom 1. 10. 2011
Peter-André Alt, Präsident der Freien Universität Berlin, sieht in der Einengung der wissenschaftlichen Kommunikation auf die englische Sprache eine stilistische Verarmung, die auch inhaltliche Folgen hat. „Globale Verständigung, wie sie das Englische gewährt, sollte die Individualität gelehrter Sprachen nicht ausschließen. Zu erhalten ist die Vielfalt und Nuanciertheit des individuellen Ausdrucks auch dort, wo es um scheinbar exklusive Forschung geht. Nur so kann Wissenschaft durch die Klarheit ihrer Aussagen breiter wirken und eine ihrer vorzüglichsten Aufgaben erfüllen: die, ein Vorbild zu sein für genaues Denken." Hier geht es zu dem Artikel „Die sprachlose Forschung".
Dieter Schönecker: „Keine Kant-Forschung ohne Deutsch"
Forschung und Lehre Nr. 12 (2011)
Dieter Schönecker, Professor für Praktische Philosophie an der Universität Siegen, zeigt in diesem Artikel, dass in einigen Bereichen der Philosophiehistorie Deutsch als Wissenschaftssprache absolut unverzichtbar ist. Für ein genaues Verständnis eines Textes ist es unabdingbar, diesen in der Sprache lesen zu können, in der er verfasst wurde. Denn Texte sind nicht ohne erheblichen Verlust übersetzbar. Das heißt: Forscher, die über Kant arbeiten, müssen Deutsch zumindest passiv beherrschen. Trotzdem kann man es erleben, dass Tagungen in Deutschland über Kant oder Hegel nur in englischer Sprache durchgeführt werden. Die Wissenschaftsinstitutionen wie die DFG, der DAAD oder die AvH werden aufgerufen, etwa über Stipendien für deutschsprachige Sommerschulen für deutsche Philosophie oder für Sprachkurse nachzudenken.
Axel Flessner: „Die Bedeutung von Wilhelm von Humboldts Sprachdenken für die Rechtswissenschaft"
Aus Anlass des 200. Geburtstages der Humboldt-Universität zu Berlin im Jahre 2010 gab deren Juristische Fakultät eine Festschrift heraus, die im Verlag de Gruyter erschienen ist und aus der dieser Beitrag von Axel Flessner entnommen wurde. Axel Flessner ist emeritierter Professor für Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität.
Der Autor beruft sich auf Wilhelm von Humboldt, der nicht nur Staatsmann und geistiger Vater der Berliner Universität war, sondern auch die Sprachwissenschaft geprägt hat. Ausgehend von Humboldts Sprachphilosophie wird deren Bedeutung für die Rechtswissenschaften, aber auch für die Wissenschaft im Allgemeinen aufgezeigt. Hieraus werden Perspektiven für eine zukünftige Sprachpolitik an Universitäten abgeleitet, welche sich nicht von einer Engführung auf das Englische leiten lassen sollte.
Winfried Thielmann: „Dreamliner in Richtung Scholastik - Über die Anglifizierung der europäischen Wissenschaft"
Forschung und Lehre Nr. 10 (2010)
Winfried Thielmann, Professor für Deutsch als Erst- und Zweitsprache an der TU Chemnitz, stellt eine Parallele zwischen der heutigen Einengung auf ein englisches Einheitsidiom in den Wissenschaften und der lateinischen lingua franca zur Zeit der Scholastik fest. Er stellt die Frage nach den „Konsequenzen für wissenschaftliche Innovationen, wenn Wissenschaft in einer Sprache betrieben wird, in der nur ein Teil der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu Hause ist".
K. Petereit und E. Spielmanns-Rome: „Sprecht Deutsch mit uns! Ausländische Studierende in englischsprachigen Studiengängen wollen mehr Deutsch lernen"
Forschung und Lehre Nr. 3 (2010)
Ausländische Studierende, die bei uns englischsprachige Studiengänge absolvieren, erhalten oft keine Gelegenheit, Kenntnisse der deutschen Sprache zu erwerben oder anzuwenden. Mehrere Evaluationen, die das Fachbüro für internationales Bildungsmanagement (FiB) durchgeführt hat, zeigten nun, dass diese Studenten sich ausgegrenzt fühlen und mit ihrem Aufenthalt in Deutschland unzufrieden sind. Sie fordern: „Sprecht Deutsch mit uns!" Die Annahme, dass ein „deutschfreies" Studium in Deutschland dessen Attraktivität als Studienstandort steigert, bestätigte sich also nicht.
John Airey, Cedric Linder: „Language and the experience of learning university physics in Sweden"
Eur. J. Phys. 27, 553-560 (2006)
Die Autoren dieser Untersuchung stellen fest, dass selbst bei Studenten mit sehr guten Englischkenntnissen die wissenschaftliche Lehre in der Muttersprache (hier Schwedisch) messbar wirksamer ist als auf Englisch. Untersuchungen dieser Art auch im deutschsprachigen Raum sind überfällig.