Sprache ist konstitutiver Bestandteil einer jeden Kultur. Was bedeutet der Verzicht auf die Landessprache an den Hochschulen für die soziale und kulturelle Integration ausländischer Akademiker und deren Chancen auf dem inländischen Arbeitsmarkt und das interkulturelle Verständnis?
Englisch ist keine neutrale Sprache wie das Latein der Scholastik, es steht vielmehr für einen spezifischen Kulturkreis und transportiert eine partikulare Weltsicht. Da Sprache konstitutiver Teil einer jeden Kultur ist, blendet die Fixierung auf das Englische Denktraditionen nicht-anglophoner Sprachräume aus und könnte interkulturelles Verständnis sogar behindern. Wenn internationale Studenten und Wissenschaftler die Landessprache nicht lernen, bleiben sie von gesellschaftlicher und kultureller Partizipation ausgeschlossen und verbleiben in einer akademischen „Parallelwelt“ jenseits der sie tragenden Gesellschaft. Auch die langfristige Integration ausländischer Studienabsolventen in den inländischen Arbeitsmarkt scheitert oft, wo Kenntnisse der Landessprache und ihrer Fachterminologien zwingend erforderlich sind. Das hat weitreichende Folgen für die Wirtschaft. Wenn ausländische Hochqualifizierte rekrutiert werden sollen, kann es nicht darum gehen, nur im wirtschaftspolitischen Interesse „nützliche“ Arbeitskräfte zu „importieren“, es bedarf vielmehr einer affektiven Bindung der Zugewanderten an das Land.
Anglophonisierung der Hochschullehre – Verheißungen und Illusionen
Beitrag in Sammelband der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2025
Die Fehlentwicklungen in der Sprachenpolitik im Hochschulbereich beschäftigen nicht nur Wissenschaftler in Deutschland. Auch die Österreichische Akademie der Wissenschaften etwa hat sich dem Thema zugewandt und veröffentlichte den Band: „Die Sprache(n) der Wissenschaft. Eine empirische Studie unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Österreich vor dem Hintergrund sprach- und kommunikationswissenschaftlicher Befunde“ (Hsg.: M. Haller, D. Prandner, A. Vadrot. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, 2025).
Der Band enthält u.a. einen Beitrag von Olga Rösch, welcher sich mit den negativen Auswirkungen der Marginalisierung der Landessprache auf die Qualität der Lehre und insbesondere mit der unreflektierten und politisch gewollten Gleichsetzung von Internationalisierung und Anglophonisierung beschäftigt. Der Erfolg dieser „Internationalisierungs-Instrumente“ wird anhand von Daten aus diversen Publikationen kritisch hinterfragt.
Zwischen Willkommen und Wirklichkeit. Befragung internationaler MINT-Studierender: Wie die Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt besser gelingt.
Policy Paper des Stifterverbands von 2024
In einer Untersuchung kommt der Stifterverband zu dem Ergebnis, dass die Integration internationaler MINT-Studierender in unsere Gesellschaft sowie der Studienabsolventen in unseren Arbeitsmarkt völlig unbefriedigend ist. Einige Kernaussagen: „Als wichtigsten Integrationsschritt gaben 83 % der Befragten an, Deutsch zu lernen.“ „Hochschulen sollten ihre Bemühungen verstärken, den Erwerb der deutschen Sprache zu fördern, auch für Studierende in englischsprachigen Studiengängen.“ „Die Politik sollte Angebote zum Spracherwerb ausreichend finanzieren und verbindliche Regelungen zur Bereitstellung und Nutzung von Angeboten schaffen.“
Internationale Studierende als Fachkräfte von morgen
Positionspapier des DAAD von 2023
In diesem Papier kommt der DAAD u.a. zu den Schlussfolgerungen: „Die deutsche Sprache ist zentrale Voraussetzung sowohl für den Studienerfolg als auch für die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt.“ „Der DAAD wird die Möglichkeiten zum Erlernen der deutschen Sprache im Ausland weiter stärken und hierbei insbesondere die akademische Ausbildung von Deutschlehrkräften unterstützen.“ Trotzdem sollten laut DAAD die Zahle englischsprachiger Studiengänge erhöht werden, um den Einstieg zu erleichtern.
Internationale Studierende in Deutschland zum Studienerfolg begleiten. Ergebnisse und Handlungsempfehlungen aus dem SeSaBa-Projekt. (DAAD 2022)
Diese Studie kommt zu dem Ergebnis: „Im Fall der Studierenden in englischsprachigen Studiengängen hat sich gezeigt, dass die meisten nach dem Studium in Deutschland bleiben möchten. Um eine mögliche Integration in den Arbeitsmarkt zu erleichtern, sollte der Erwerb der deutschen Sprache in englischsprachigen Studiengängen durch begleitende Sprachkurse ebenfalls gefördert und deren Inanspruchnahme durch passende Anreize (z. B. Credits für Wahlpflichtkurse) unterstützt werden.“
Die Landessprache in der Lehre – welche Bedeutung kommt ihr bei der Internationalisierung zu?
von Olga Rösch, Günter Tolkiehn, Ralph Lehnert. Die Neue Hochschule 6/2019, S. 12-15
Dieser Artikel, der in der Zeitschrift Die Neue Hochschule (DNH), dem Organ des Hochschullehrerbundes (hlb), erschien, analysiert scharfsinnig den Irrtum, dem unsere Hochschulen erliegen, wenn sie den von uns allen gewünschten interkulturellen Austausch durch die Einführung des Englischen als Lehrsprache erreichen wollen. Die Abschaffung der Landessprache in der Hochschule hat dramatische Konsequenzen für die Qualität der Lehre, für den Zusammenhalt der Gesellschaft, für das interkulturelle Verständnis sowie für die Integration der Absolventen, die bei uns bleiben wollen.
Fazit: Internationalisierung und Landessprachen – Hochschullehre braucht beides!
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Praxis der Internationalisierung an den öffentlichen Hochschulen - da läuft etwas falsch!
In einem aufrüttelnden Bericht in Zeit-Campus aus dem Jahre 2017 kritisieren zwei Hochschullehrer die völlig falsch verstandenen Internationalisierungsstrategien der öffentlichen Hochschulen, die sich auf „English only“ beschränken und dabei sogar qualitative Einbußen in Kauf nehmen, statt fachspezifische Konzepte für mehrsprachige Lehre einschließlich verbindlicher Sprachlernmodule zu entwickeln.
Olga Rösch: Internationalisierung der Hochschulen – Was sind unsere Ziele?
Die Neue Hochschule 1/2015, S. 18-24
Der Artikel zeigt, dass die Umstellung der Lehrsprache auf Englisch keineswegs als Ausweis der Internationalität gelten und schon gar nicht eine Bedingung für Internationalisierung sein kann, sondern echte Interkulturalität eher verhindert und die Integration ausländischer Studenten erschwert. Dass die Internationalisierung der Hochschulen eine zukunftsorientierte und begründete Notwendigkeit ist, wird nicht in Frage gestellt. Ob dabei Ziele und die Wege dorthin aufeinander abgestimmt und gesamtgesellschaftlich konsensfähig sind, muss jedoch kritisch hinterfragt werden.
In einem vorangegangenen Aufsatz mit dem Titel „Internationalisierung der Hochschulen – Und was ist mit Kultur?“ (Die Neue Hochschule, 3/2013, S. 70-74) zeigt die Autorin auf, dass dem Ersatz der Landessprache durch das Englische eine gewaltige kulturelle Dimension zukommt und dass für eine erfolgreiche Gestaltung der Internationalisierung v.a. das kulturelle Selbstverständnis des Gastlandes, verbunden mit einer interkulturellen Kompetenz, entscheidend ist.
Christian Fandrych und Betina Sedlaczek: I need German in my life. Eine empirische Studie zur Sprachsituation in englischsprachigen Studiengängen in Deutschland. Stauffenburg-Verlag 2012
Dies ist eine größere empirische Untersuchung zur Sprachsituation ausländischer Studenten in englischsprachigen Studiengängen an deutschen Hochschulen. Sie zeigt auf, wie wir unseren Gaststudenten und uns selbst schaden, wenn wir jene sprachlich nicht in unsere Gesellschaft integrieren. Die Lektüre des Buches ist auch nach über 10 Jahren seit seinem Erscheinen von höchster Aktualität und ein Muss für alle, die sich mit Internationalisierungsstrategien beschäftigen.
Bildungsausländer wandern aus
Eine internationale Vergleichsstudie des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration zeigt, dass die meisten der in Deutschland studierenden Ausländer nach ihrem Abschluss auch in Deutschland arbeiten möchten, dass dies jedoch nur wenigen von ihnen gelingt. Ein Grund hierfür ist, dass fast 40 % der ausländischen Absolventen nach dem Studium an einer deutschen Hochschule kein oder nur rudimentäres Deutsch sprechen. Darüber berichtet die TAZ in einem Artikel vom 19. 4. 2012. Angesichts des Fachkräftemangels ist das ein besorgniserregender Befund.
Ausländische Studierende in englischsprachigen Studiengängen wollen mehr Deutsch lernen
Ausländische Studierende, die englischsprachige Studiengänge absolvieren, erhalten meist keine Gelegenheit, Kenntnisse der deutschen Sprache zu erwerben oder anzuwenden. Mehrere Evaluationen, die das „Fachbüro für internationales Bildungsmanagement" (FiB) durchführte, zeigten, dass diese Studenten sich ausgegrenzt fühlen und mit ihrem Aufenthalt in Deutschland unzufrieden sind. Die Annahme, dass ein „deutschfreies" Studium in Deutschland dessen Attraktivität als Studienstandort steigert, bestätigte sich damit letztendlich nicht. Darüber berichtet der Artikel „Sprecht Deutsch mit uns" in der Zeitschrift Forschung und Lehre.
Folgen der Anglophonisierung für die Wirtschaft
Die mittelständische Wirtschaft sucht dringend nach Fachkräften. Ausländische Absolventen rein englischsprachiger Studiengänge sind jedoch oft gezwungen, Deutschland zu verlassen, weil sie während des Studiums die Landessprache und die nötigen Fachterminologien nicht gelernt haben. Sie haben daher kaum Chancen auf Integration in den Arbeitsmarkt. Mit dem Bund der Selbständigen (BDS) hat sich auch ein Wirtschaftsverband dem Problem zugewandt.