Wissenskommunikation soll Partnern aus allen gesellschaftlichen Bereichen Teilhabe an wissenschaftlicher Erkenntnis ermöglichen. Dies muss ein reziproker Prozess sein und kein bloßer Informationstransfer. Der öffentliche Diskurs kann nur in der Landessprache gelingen, gerade weil er disziplinübergreifend geführt werden muss. Wenn jedoch die Wissenschaft die wissenschaftliche Varietät der jeweiligen Landessprache aufgibt und etwa Forschungsinstitutionen sich der Laienwelt ausschließlich in englischer Sprache präsentieren, drohen eine die Gesellschaft spaltende funktionale Diglossie und eine Zunahme der Wissenschaftsskepsis. Der Hochschullehre kommt besondere Verantwortung zu, weil die Absolventen in der Lage sein müssen, wissenschaftliche Expertise und gesamtgesellschaftliche Fragen zusammenzuführen. Die Hochschulen haben einen Sicherstellungsauftrag gegenüber der Gesamtgesellschaft.

In den Diskussionen über Wissenschaftskommunikation wurde bislang kaum berücksichtigt, welche Rolle dabei der Sprachenwahl zukommt. Während der binnenwissenschaftliche Austausch in vielen Disziplinen nur noch auf Englisch stattfindet, ist die Kommunikation mit der Öffentlichkeit stets auf die Landessprache angewiesen. Die Tagung thematisierte dieses Spannungsfeld und nahm insbesondere die akademische Lehre in den Blick, wo eben jene Akteure ausgebildet werden, die in der Zukunft wissenschaftliche Expertise und gesamtgesellschaftliche Fragen zusammenführen sollen.

Hier finden Sie das Programm und hier einen Bericht über die Tagung. 

Der Dr.-Walther-Liebehenz-Stiftung danken wir für ihre Unterstützung.

Eine prägnante Zusammenfassung der Tagung gibt ein Artikel, der in der Zeitschrift Die Neue Hochschule, dem Organ des Hochschullehrerbundes (hlb), erschien (O. Rösch, G.-U. Tolkiehn und T. Brunotte, Die Neue Hochschule 1, 2024, S. 28-31).

Zu der Veranstaltung ist ein ausführlicher Tagungsband erschienen. Er enthält zahlreiche Aufsätze, die das Thema „Wissenskommunikation und Landessprache" aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten. Hier finden Sie Informationen zu der Publikation und hier sämtliche Beiträge.

In seinem Positionspapier "Impulse aus der COVID-19-Krise für die Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems in Deutschland" benennt der Wissenschaftsrat u.a. die in der Krise hervorgetretenen Herausforderungen, die die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit betreffen. Wenn das Papier völlig zu Recht fordert, dass Wissenschaftskommunikation in die Ausbildung unserer Akademiker integriert werden muss, wäre daraus zu folgern, dass auch die Landessprache in der Lehre eine Rolle spielen muss.

Lesen Sie hierzu die ausführliche Stellungnahme des ADAWIS.

Neben zahlreichen Wissenschaftsorganisationen beteiligte sich auch der ADAWIS an der weltweiten Initiative March for Science, die gegen die Diffamierung naturwissenschaftlicher Erkenntnis durch links- und rechtspopulistische Strömungen ein Zeichen setzen wollte. In diesem Sinne nahm unser Vorstandsmitglied H.H. Dieter an der Kundgebung in Berlin teil.

Einen Aspekt haben die Initiatoren wahrscheinlich nicht bedacht: Wenn „alternative Fakten“ sich als Ideologie und Aberglaube verfestigen, zeigt dies, dass wissenschaftliche Quellen offenbar als nicht mehr vertrauenswürdig gelten. Zumindest in der nicht-anglophonen Welt mag hierfür die Wissenschaft selbst eine Mitverantwortung tragen, indem sie sich auch sprachlich von der übrigen Gesellschaft abkapselt. „Die Menschen in allen nicht englischsprachigen Kulturen erleben Wissenschaft nicht mehr als die Kraft, die ihre Probleme zu lösen versucht, sondern als Aktivität von Experten …, zu denen Zugang zu gewinnen … schon aus Sprachgründen kaum möglich ist“ (Peter Finke). Offenheit sowie Pluralität der Denkmuster und Denktraditionen sind die Grundvoraussetzungen jeder wissenschaftlichen Tätigkeit. Gerade wegen ihres internationalen Anspruchs sollte die Wissenschaft nicht selbst einer Ideologie verfallen, indem sie alle nicht-englischen Sprachen aus dem Erkenntnisprozess verbannt.

Das Internet ist die wichtigste Informationsquelle für die an Wissenschaft interessierte Öffentlichkeit. Trotzdem stellen die meisten Forschungsinstitutionen in ihren für die Laienöffentlichkeit bestimmten Seiten, die auf die einzelnen Forschungsinhalte und Ergebnisse eingehen, nur noch englischsprachige Versionen zur Verfügung. Eine Stichprobe des ADAWIS ergab, dass sich in einer großen außeruniversitären Forschungseinrichtung, die sich mit Fragen der Gesundheitsvorsorge befasst, also mit Themen hoher gesellschaftlicher Relevanz, etwa 82 % aller Arbeitsgruppen Laien gegenüber ausschließlich in englischer Sprache präsentieren. (Stand Mai 2021).

Moderne Wissenschaftssysteme bilden weit über ihren Selbstreproduktionsbedarf hinaus aus. Das ist sowohl im Hinblick auf das Individuum als auch gesamtgesellschaftlich sinnvoll. Dadurch gelangen gebildete Menschen mit aktuellem Wissen in anspruchsvolle Tätigkeiten in allen Bereichen der Gesellschaft, insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft und der Verwaltung, wo sie Innovationen voranbringen können. Für diesen Transferprozess zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ist die Landessprache wesentlich, und zwar sowohl alltagssprachlich wie fachsprachlich. Rein englischsprachige Studiengänge setzen diese Sprachkompetenz aber nicht voraus und sehen ihren Erwerb auch nicht vor. Die fehlende landessprachliche Kompetenz erschwert in der Folge den Zugang zum inländischen Arbeitsmarkt erheblich und verschlechtert damit allgemein die Bleibeperspektive für ausländische Absolventen. Absolventen und Abbrecher aus nicht-EU-Ländern verlieren ohne Beschäftigung sogar ihre Aufenthaltstitel. Das schmälert letztlich die volkswirtschaftliche Rendite der staatlichen Investition in das Hochschulsystem.