Entgegen der Auffassung, es gäbe eine objektive „Wahrheit“, die sprachfrei erkannt werden könne und nur zu ihrer Mitteilung des Mediums Sprache bedürfe, hat Sprache auch eine kognitive Funktion. So haben etwa bei der Formulierung von Hypothesen, die zunächst einmal nur alltagssprachlich erfolgen kann, die zur Verfügung stehenden Metaphern einen erkenntnisleitenden Aspekt. Nicht nur die Mitteilung, sondern auch das Auffinden von Wissen ist somit sprachabhängig. Vielfalt wissenschaftlicher Perspektiven setzt sprachliche Vielfalt voraus. Die Fixierung auf eine einzige Sprache gefährdet die Pluralität der Erkenntnisansätze und den Kern des Unternehmens Wissenschaft. Das gilt auch in den Naturwissenschaften, wie hier an Beispielen gezeigt wird.

Quelle: Adawis
  • Der Inhalt des Wasserbeckens ist stets der gleiche. Doch je nach einfallendem Licht zeigen sich an der Oberfläche immer andere Muster.
     
  • Der Untersuchungsgegenstand bleibt der gleiche. Doch je nach Beschreibungssprache treten andere Aspekte zutage.

In dem Vortrag „Organismen als Energiewandler: Wie Sprachtradition und Sprachpolitik evolutionsbiologische Erkenntnis beeinflussen“ erklärt der Evolutionsbiologe Dr. Tareq Syed, dass auch in den Naturwissenschaften Erkenntnisfortschritt nicht sprachunabhängig ist. Es kommt sogar vor, dass sich durch die Einengung auf das Englische fehlerhafte Sichtweisen einschleichen.

So entdeckte etwa ein deutscher Zoologe in einem primitiven Meerestier so genannte Faserzellen. Seine Publikationen kennt man heute allerdings nicht mehr. In den nachfolgenden – anglophonen – Forschungsarbeiten wurde die Faserzelle als fibre cell bezeichnet. Dieses englische Wort bezeichnet jedoch nicht nur eine faserartige, sondern auch eine faserproduzierende Zelle. Die zweite (falsche) Bedeutung setzte sich nach Rückübersetzung auch im Deutschen durch und führt seither zu falschen Lehrbuchdarstellungen. 

Die wichtigsten Passagen des Vortrags können Sie hier ansehen und nachhören.

In diesem grundlegenden Artikel in Linguistik Online (2/2012) zeigt der Sprachwissenschaftler Winfried Thielmann, dass ein Sprachausbau auf wissenschaftliche Zwecke hin mit denjenigen Mitteln erfolgt, die in einer spezifischen Einzelsprache für solche Zwecke hin funktionalisiert werden können. Bei typologisch verschiedenen Sprachen wie etwa dem Deutschen und Englischen zeigt sich, dass der wissenschaftliche Erkenntnisprozess durch die Unterschiede der Mittel auf sehr verschiedene Weise angeleitet wird. Wissenschaftliche Einsprachigkeit ginge mithin mit einem großen Verlust potenzieller Erkenntnismöglichkeiten einher.

Dieser Aufsatz, der in der Zeitschrift Fachsprache (3-4/2016, S. 143-162) erschienen ist, zeichnet die unterschiedlichen Pfade wissenschaftlichen Sprachausbaus im Bereich der Terminologiebildung für das Deutsche und Englische nach und zeigt die Problematik der Übersetzung von Terminologien vom Deutschen ins Englische und umgekehrt auf.

Dieser Beitrag des Sprachwissenschaftlers Winfried Thielmann zeigt anhand dreier Fallbeispiele für wissenschaftlichen Transfer, dass die durchgängige Entscheidung für das Englische in der europäischen Wissenschaft eine angelsächsische Dominanz zur Folge haben würde, die die europäische Wissenschaft zur Imitation, und damit langfristig zur systematischen Unterlegenheit gegenüber der monolingual-anglophonen Wissenschaft verurteilen würde (Zagreber Germanistische Beiträge 28/2019, S. 21-37).

Auf den ersten Seiten dieses Aufsatzes erklärt der Autor Ralph Mocikat, warum Diversität des Denkens – und hierzu gehört insbesondere sprachliche Diversität – selbst in den Naturwissenschaften Voraussetzung jedes wissenschaftlichen Tuns ist.
Der Artikel erschien in dem Buch „Mehrsprachigkeit im Wissenschaftsdiskurs – Ein Panorama der Möglichkeiten und Schwierigkeiten“ (Hsg.: H.W. Giessen, A. Krause, P. Oster-Stierle, A. Rausch; Nomos, Baden-Baden, 2018).