Der Arbeitskreis Deutsch als Wissenschaftssprache (ADAWIS) tritt für eine differenzierte Mehrsprachigkeit in Forschung und Lehre und die Erhaltung und Weiterentwicklung der deutschen Wissenschaftssprache innerhalb des deutschen Sprachraums ein. Er unterstützt alle Bestrebungen von Forschern weltweit, die vergleichbare Ziele für ihre Sprachräume verfolgen.

Für die weltweite Verständigung unter Wissenschaftlern hat sich seit mehreren Jahrzehnten das Englische durchgesetzt. Jedoch ist das Englische zurzeit auch im Begriff, andere ausgebaute Wissenschaftssprachen selbst aus ihren jeweiligen eigenen Sprachräumen vollständig zu verdrängen und für die Weiterentwicklung und Vermittlung ganzer Wissensgebiete unbrauchbar zu machen.

Um die Erkenntnisvielfalt zu schützen, die interkulturelle Verständigung zu fördern und die Verankerung der Wissenschaft in der Gesellschaft zu sichern, bedarf es jedoch einer ausgewogenen Balance zwischen der internationalen Verständigungssprache Englisch und der jeweiligen Landessprache sowie gegebenenfalls weiteren Sprachen.

Wissenschaft lebte schon immer von internationaler Zusammenarbeit und bedarf einer weltweiten Verständigungssprache. Diese Funktion kommt heute dem Englischen zu. In dem Glauben, internationaler Anspruch bedeute englische Einsprachigkeit auf allen Kommunikationsebenen, setzen Wissenschaftsverwaltungen und Politik zunehmend auch im internen Wissenschaftsbetrieb „English only“ durch. Das bedeutet z.B., dass

  • immer mehr Hochschulen ganze Studiengänge überhaupt nicht mehr in der Landessprache anbieten,
     
  • nationale Kongresse, Kolloquien oder alltägliche Besprechungen mit ganz überwiegend oder gar ausschließlich deutschsprachigen Teilnehmern oft nur noch auf Englisch stattfinden,
     
  • inländische Mittelgeber deutschsprachige Forschungsanträge oft nicht mehr entgegennehmen,
     
  • Forschungseinrichtungen sich selbst der nicht-fachlichen Öffentlichkeit nur noch in englischer Sprache präsentieren.

Dadurch werden die Effektivität der wissenschaftlichen Kommunikation im Inland (v.a. im Dialog mit Politik und Öffentlichkeit) gemindert, die Inhalte der akademischen Lehre ausgedünnt und der gesamtgesellschaftliche Bildungsauftrag der Hochschulen in Frage gestellt. Der ADAWIS hält dies für integrations-, erkenntnis- und demokratiefeindlich. Zur Förderung der internationalen Vernetzung und zur Vermittlung interkultureller Kompetenz fordert er Konzepte der differenzierten Mehrsprachigkeit.

Wissenschaft zielt auf umfassende Erkenntnis. Da jede Sprache die Wirklichkeit auf je eigene Weise strukturiert und veranschaulicht, dienen das Miteinander und der Wettbe­werb möglichst vieler Wissenschaftssprachen der Schaffung neuen Wissens. Z. B. schärft und vertieft der zwischensprachliche Ver­gleich von Termini für vergleich­bare Dinge und Begriffe das Verständnis. Sprachen, die keine neuen Termini mehr bilden, gehen der Wissenschaft als Instrument der Wahrneh­mung und Quelle der Erkenntnis verloren.

Wissenschaft sollte sich stets mit Politik und Gesellschaft über soziale und ethische Fragen ihrer Tätigkeit austauschen. Dieser öffentliche Dis­kurs kann nur innerhalb des sprachlich-kulturellen Umfeldes derjeni­gen Gesellschaft gelingen, die den Wissenschaftsbetrieb trägt. Anderen­falls käme er mangels gemeinsamer Terminologie und er­kenntnisleiten­der Bilder rasch zum Erliegen. Einkapselung der Wissen­schaft, Information aus zweiter Hand und Misstrauen gegenüber wissenschaftlicher Expertise wären das Ergebnis. 

Wissenschaft ist in besonderer Weise befähigt, den interkulturellen Austausch voranzubringen, denn sie erzieht zu Neugier, Offenheit und Toleranz. Englisch als einzige Sprache engt jedoch den Blick auf denjeni­gen Kulturkreis ein, für den diese Sprache steht.

Schon jetzt verbieten Wissenschaftsverlage ihren Autoren, nicht-englisch­sprachige Referenzen zu zitieren. Geschichtsfälschung, Wissensver­nichtung und Vergessen ganzer Forschungstraditionen sind die Folge.

Ausländische Studenten und Wissenschaftler, die keine Gelegenheit haben, die Landessprache zu lernen, sehen sich gesellschaftlich ausgegrenzt. Sie sehen sich oft genötigt, unser Land zu verlassen, obwohl sie den Wunsch haben, sich in unseren Arbeitsmarkt zu integrieren.

Um Gastakademiker bei uns zu halten und den interkulturellen Austausch zu fördern, verficht der ADAWIS das Konzept einer kontextabhängigen, aktiven und passiven Mehrsprachigkeit, in der unserer Landessprache eine verbindlich-verbindende Rolle zukommt. Wir kooperieren dabei u. a. mit Sprachgesellschaften, Kulturinstitutionen, Wissenschaftsorganisati­onen und der Politik sowie ähnlichen Initiativen in anderen Staaten.

  • Kontextbezogene Mehrsprachigkeit der universitären Lehre: Die grundständige Lehre sollte auf Deutsch stattfinden, aber auch die Rezeption fremdsprachiger Literatur einschließen. Alle Aufbau- und Promotionsstudiengänge müssen auch auf Deutsch angeboten werden (ggf. mit fremdsprachigen Anteilen). Sprachmodule, die das Fachstudium begleiten, müssen verpflichtend sein.
     
  • Individuelle Mehrsprachigkeit: Bei längerem Aufenthalt muss jeder Gaststudent und -dozent die Landessprache erlernen und ist darin zu unterstützen. Bei Kurzaufenthalten gilt nach Möglichkeit das Prinzip der rezeptiven Mehrsprachigkeit. Die passive Beherrschung anderer Fremdsprachen sollte daher schon früh gefördert werden.
     
  • Abschlussarbeiten und Prüfungen: Englisch darf nicht verpflichtend sein. Abschlussarbeiten sollten vorzugsweise auf Deutsch verfasst werden, ggf. mit Zusammenfassung auf Englisch und je nach Fach in weiteren Sprachen.
     
  • Nationale Fachtagungen: Deutsch ist ausdrücklich zuzulassen, nötigenfalls mit Verdolmetschung ins Englische.
     
  • Förderanträge, Ergebnisberichte: Inländische Mittelgeber müssen die Einreichung deutschsprachiger Fassungen zulassen.
     
  • Lehrwerke, Monographien: Verlage müssen bei der Übersetzung ins Englische unterstützt werden, damit die Herausgabe ursprünglich deutschsprachiger Werke attraktiv bleibt.
     
  • Wissenschaftsevaluation: Die Bewertung von Forschern und Forschungseinrichtungen darf nicht nur Publikationen in ausgewählten, englischsprachigen Zeitschriften berücksichtigen, sondern muss auch Monographien, nicht-englischsprachige Original- und Übersichtsartikel, Herausgeber- und Lehrtätigkeit sowie Öffentlichkeitsarbeit und Mitarbeit in wissenschaftlichen Kommissionen in Betracht ziehen.
     

    Damit deutschsprachige Original- und Übersichtsarbeiten, Lehrwerke und Handbücher honoriert werden, muss eine mehrsprachige Publikationsdatenbank auf EU-Ebene geschaffen werden, die von den amerikanischen Zitatdatenbanken unabhängig ist.
     

  • Öffentlichkeitsarbeit: Deutsche Forschungseinrichtungen dürfen ihren Internetauftritt nicht ausschließlich auf Englisch bereitstellen.
     
  • Bildungssprache Deutsch: Auch im natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht an den Schulen muss die deutsche Sprache gepflegt werden. „Bilingualer“ Fachunterricht darf nicht vorwiegend oder gar ausschließlich fremdsprachlich erteilt werden.
  • eine selbstkritische und bürgernahe Wissenschaft statt selbst-referenzieller Tendenzen in Wissenschaft und Technik,
     
  • den fächerübergreifenden Dialog,
     
  • die Vertiefung geisteswissenschaftlicher und gesellschaftlicher Aspekte in den Naturwissenschaften,
     
  • empirische Untersuchungen zur Rolle der Sprache im Erkenntnisprozess und in der Lehre.